Hormonelle Störungen verstehen und behandeln
Das Hormonsystem ist in seinen funktionellen Zusammenhängen oftmals noch ein Buch mit sieben Siegeln. Der nachfolgende Artikel soll zeigen, was Störungen im Hormonsystem überhaupt meinen, welche funktionellen Auswirkungen sie haben und inwieweit sie unter anderem mit osteopathischen Behandlungsansätzen beeinflussbar sind.
Spielen Hormone und das Hormonsystem bei der Behandlung eine Rolle, ist folgendes für die weitere therapeutische Arbeit essenziell: Eine hormonelle Störung ist keine Störung im Hormonsystem! Es sei denn, es fehlt eine Hormondrüse oder es liegt eine pathologische Zerstörung des Hormondrüsengewebes vor.
Im funktionellen Sinne ist eine hormonelle Störung immer eine Reaktion auf etwas. Nämlich auf Stress. Auch wenn im Detail unzählige hormonelle Vorgänge an den Stoffwechselvorgängen beteiligt sind, liegt hier der Schwerpunkt auf den Schilddrüsen-, Nebennieren- und Geschlechtshormonen.
Die Aufgabe von Hormonen ist simpel: Sie transportieren Energie und sind so Informationsvermittler zwischen Organen selbst oder Organen und Zellen. Alle Hormone interagieren miteinander, werden durch Feedbackmechanismen geregelt oder kurbeln sich gegenseitig an beziehungsweise bremsen sich. Auf das einfachste heruntergebrochen, vermitteln die Hormone an ihre Zielorgane beziehungsweise -zellen nur eine Botschaft: Leben oder Überleben.
Energie bedeutet Leben. Kann unser Körper auf Zellebene ausreichend Energie produzieren, funktionieren alle Systeme. Die Energie kann für alle Stoffwechselvorgänge im Körper gleichmäßig verteilt werden, es findet Wachstum und Regeneration, Fortpflanzung, Fülle und Leichtigkeit statt. Wir spüren den Sinn des Lebens.
„Hormone sind der Schlüssel für einen funktionierenden Stoffwechsel und somit für den gesamten Organismus. Sie verteilen die Energie im Körper.“
Hormone sind der Schlüssel für einen funktionierenden Stoffwechsel und somit für den gesamten Organismus. Sie verteilen die Energie im Körper — an jede einzelne Zelle. Schilddrüsen-, Nebennieren- und Geschlechtshormone bedingen sich gegenseitig und unterliegen einem Regelkreislauf.
Verantwortlich für die Energieproduktion im Körper ist der Zellstoffwechsel. Die Zelle produziert ihre Energie in Form von ATP in den Mitochondrien. Für die Herstellung von ATP benötigt die Zelle Sauerstoff, Glukose, Schilddrüsenhormone und Mikronährstoffe. Die Glukose ist der Hauptbrennstoff und wird über die Nahrung aus den Kohlenhydraten gewonnen.
Die Schilddrüse ist der Motor des Stoffwechsels. Sie regelt unter anderem den Energiestoffwechsel, den Grundumsatz, die Wärmeregulation, Fortpflanzungsfähigkeit sowie die Verdauungsleistung. Sie ist für den „Drive“ im Leben verantwortlich — vergleichbar mit dem Gaspedal im Auto. Die Schilddrüsenhormone verteilen die Energie adäquat an alle Körpersysteme, damit der „Drive“ aufrechterhalten werden kann.
Was ist eigentlich Stress?
Stress ist nicht das, was den meisten Menschen offensichtlich als Stress bewusst ist. Stressoren sind Reize, die von innen und außen auf den Körper wirken. Die körperliche Reaktion darauf ist immer die gleiche – und dabei ist es sogar egal, ob es sich um negativen oder positiven Stress handelt. Stressoren können bewusst und unbewusst sein und unser Körper ist mittlerweile stets und ständig Stressoren ausgesetzt.
Stressoren können sein:
- Hitze, Kälte,
- Hunger, Durst,
- Medikamente, Impfungen,
- falsche Ernährung,
- Umweltgifte,
- Strahlenbelastung,
- Lärm und andere Sinneseindrücke,
- Emotionen und Gedanken,
- Zeitdruck,
- Blutzuckerschwankungen,
- Schlafmangel,
- Viren, Bakterien, Pilze
- und so vieles mehr
Spätestens jetzt versteht man, warum die gegenwärtige Version der Spezies Mensch im Dauerstress ist!
Wie wirkt Stress auf das Hormonsystem?
Sobald nun Stress auf den Körper einwirkt, verbraucht der Körper vermehrt Nährstoffe, damit er mehr Energie produzieren kann, um dem Stress adäquat entgegenwirken zu können. Werden diese nicht optimal über die Nahrung zugeführt, bedient er sich aus den Nährstoffreserven der Knochen, Zähne, Haare oder etwa Muskeln. Neben der Mobilisation von körpereigenen Nährstoffen, scheidet er allerdings im Stress auch vermehrt Stoffe aus, sodass es ziemlich schnell zu einem Nährstoffmangel auf Zellebene kommt.
In diesem Stressmodus stellt der Körper von Leben auf Überleben um und produziert in den Nebennieren vermehrt Stresshormone wie Cortisol, Adrenalin und außerdem auch vermehrt Östrogen. Die Folge davon ist ein Herabsenken der Energieproduktion auf Zellebene. Die Zelle kann Glukose und Sauerstoff nicht mehr verwerten, Schilddrüsenhormone sind knapp und er schaltet um auf einen anaeroben Stoffwechsel, indem er Energie aus Eiweißen und Fetten herstellt.
Hier kann es allerdings zu Energieeinbußen von weit mehr als 50 Prozent kommen. Dadurch entsteht eine innere Stresskette, da der Körper denkt, er befände sich in einer Hungersnot und der Stress-Kreislauf bleibt bestehen. Unabhängig ob nun noch Stressoren von außen einwirken oder nicht. Stresshormone verteilen das bisschen Energie, die noch produziert wird, an lebenswichtige Organe. Sie rationieren also die vorhandene Energie. Der Körper geht vom Gaspedal und tritt auf die Bremse.
Da im Königreich Körper nicht Schilddrüse und Nebennieren gemeinsam auf dem Thron sitzen können, übernehmen die Stresshormone aus den Nebennieren die Oberhand gegenüber der Schilddrüse und somit die Herrschaft im Körper.
Während jetzt im Stress-Zustand die Hormone Cortisol, Adrenalin und Östrogen im Körper dominant sind und die Energie insgesamt rationieren, kommt es zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels, weil die Schilddrüse weniger Schilddrüsenhormone ausschüttet oder die Zelle im Stress resistent ist gegen ihre Hormone. Wenn der Körper sich hormonell im Überlebensmodus befindet, er also dauerhaft denkt, er befände sich in einer Hungersnot, macht es für ihn wenig Sinn, den Grundumsatz zu steigern. Für „Drive“ ist einfach kein Brennstoff da.
Die Geschlechtshormone sind die Fähnchen im Wind. Ist genügend Energie im System vorhanden, wird hormonell alles optimal auf Fortpflanzung ausgerichtet. Ist zu wenig Energie vorhanden – wenn der Körper der Frau sich selbst nicht mit genügend Energie versorgen kann, kann er auch keinen Embryo versorgen – kommt es zu Störungen im Menstruationszyklus, um eine Schwangerschaft möglichst zu verhindern.
Letztendlich entsteht hier früher oder später eine Schilddrüsenunterfunktion. Bevor es dazu kommt, mobilisiert der Körper noch einmal alles, indem er Vollgas gibt, um mit dem Stress klarzukommen, sodass eine Überfunktion gern vor einer Unterfunktion kommt. Dieser Prozess kann Jahre dauern, denn die vermehrte oder dauerhafte Ausschüttung von Stresshormonen führt dazu, dass man nicht merkt, wie sehr man sich im Stress befindet und funktioniert weit über seine Grenze hinaus.
Sobald die Schilddrüse ihre Leistung reduziert und dadurch nicht mehr genügend Energie zur Verfügung steht, entstehen erstmals Symptome wie Erschöpfung und Schwäche. Kein Wunder, wenn der Ofen nur auf halber Flamme brennt …
Die Nebennieren sind erschöpft aufgrund langanhaltender Produktion und Ausschüttung von Cortisol und Adrenalin. Somit ist eine adäquate Stressanpassung nicht mehr möglich. Das System fängt an, zu dekompensieren und Symptome entstehen
Auf Zellebene entsteht aufgrund dessen häufig ein langsamer Stoffwechsel mit einer Kalziumverwertungsstörung sowie ein Ungleichgewicht von Natrium, Magnesium und Kalium. Daraus resultiert oftmals, wie bereits erwähnt, eine Schilddrüsenunterfunktion, Östrogendominanz, Unverträglichkeit von Kohlenhydraten mit Blutzuckerinstabilität und eine Erschöpfung der Nebennieren.
Symptome von hormonellen Störungen
Hormonstörungen und damit verbundene Beeinträchtigungen des Stoffwechsels sind leider oftmals verkannt und führen zu vielen Beschwerdebildern, die sowohl in der Schulmedizin als auch in der alternativen Medizin therapieresistent erscheinen:
- Über- oder Untergewicht,
- Erschöpfung, Leistungsdefizit,
Antriebslosigkeit und Müdigkeit, - Nebennierenschwäche,
- Burnout,
- Überforderung,
- ADHS, Konzentrationsstörungen und
Entwicklungsstörungen bei Kindern, - Kopfschmerzen und Migräne,
- Haarausfall,
- vorzeitige Alterung,
- Schlafstörungen,
- Muskelschmerzen,
- Krämpfe,
- Gelenkschmerzen,
- Nahrungsmittelunverträglichkeiten,
- Verdauungsstörungen wie
Reizdarmsyndrom, Durchfall, Verstopfung, - Schilddrüsenfunktionsstörungen,
- Diabetes,
- Allergien,
- Menstruationsbeschwerden,
Prämenstruelles Syndrom, Myome,
Endometriose, Zysten, PCOS, - unerfüllter Kinderwunsch,
- Impotenz,
- fehlende Libido,
- Östrogendominanz,
- Psycho-emotionale Beschwerden wie
Depression, Ängste, Gedankenkarussell,
Unentschlossenheit, Hypersensibiliät,
Weinerlichkeit, - mangelnde Stressresistenz und
Überforderung, - virale, bakterielle oder Pilzinfektionen,
- Neurodermitis,
- Cellulitis,
- Autoimmunerkrankungen
- und vieles mehr.
Die Symptome durch stressbedingte Hormonstörungen sind sehr vielfältig und treten je nach Belastung und Konstitution in jedem Alter auf. Selbst Kleinkinder zeigen mittlerweile einen entgleisten Stoffwechsel und Stress-Symptome.
Osteopathische Therapieansätze
Das Hormonsystem unterliegt der hauptsächlichen Steuerung des Nervensystems. Hier findet auch die Osteopathie ihren übergeordneten Behandlungsansatz. Die direkte Beeinflussung des zentralen Nervensystems über die Sut. Sphenobasilaris und der beidseitigen Sut. Occipitomastoidea, um zentral bereits den N. vagus zu manipulieren, führt zu einem ersten Ausgleich im Vegetativen Nervensystem (VNS), zu einer vertieften Atmung und einer Entspannung des gesamten Systems. Die einhergehende Entspannung führt maßgeblich zu einer reduzierten Ausschüttung von Stresshormonen. Unterstützend bewährt sich hier auch der Fokus auf den craniosacralen respiratorischen Rhythmus. Atemtherapie in Form von jeglichem Einwirken auf das Zwerchfell, die Atemhilfsmuskulatur und die Thoraxapertur führt ebenfalls zu einem Ausgleich des VNS.
Des Weiteren fördert das Harmonisieren der Zwerchfellfunktion zu einem verbesserten arteriellen und veno-lymphatischen Fluss und somit zu einer optimierten Versorgung der Zellen. Rein strukturell macht es Sinn, sowohl die arterielle Versorgung der Nebennieren als auch die der Schilddrüse über die faszialen Strukturen beziehungsweise direkt über das Organ mit zu behandeln, um Durchblutung und Funktionsleistung der Hormondrüsen positiv zu beeinflussen. Bewährt hat sich hier die Manipulation der Membrana thyrohyoidea mit Einfluss auf die A. thyroidea superior für den Bereich der Schilddrüse. Um die Durchblutung der Nebennieren beziehungsweise der Nieren zu verbessern, kann man ausschließlich über die Mobilisation der Nieren oder einer horizontalen Dehnung der Nieren arbeiten, da die A. renalis nicht palpabel ist.
Die Symptome durch stressbedingte Hormonstörungen sind sehr vielfältig und treten je nach Belastung und Konstitution in jedem Alter auf. Selbst Kleinkinder zeigen mittlerweile einen entgleisten Stoffwechsel und Stress-Symptome.
Weitere Therapieansätze
An dieser Stelle sei gesagt, dass eine ausschließlich osteopathische Beeinflussung nicht dauerhaft zu einem optimierten Zellstoffwechsel und so zu einem ausgeglichenen Hormonhaushalt führt. An erster Stelle steht eine Verbesserung der Nährstoffversorgung durch gezielte Nahrungsergänzung mit therapeutischen Dosierungen sowie eine Ernährungsumstellung, um die Nebennieren zu entlasten, langfristig wieder zu kräftigen und somit den Körper erstmals wieder aus seinem Überlebensmodus zu holen.